Im Jahr 1906 richtete die preußische Unterrichtsbehörde in Wipperfürth ein Seminar zur Ausbildung von Volksschullehrern ein, das zunächst in einem Wohnhaus am heutigen Kölner-Tor-Platz (Lenneper Str. 2) untergebracht war, dem im Folgejahr ein neues Gebäude angegliedert wurde (Lenneper Str. 4). Die Ausbildung war in zwei Abschnitte gegliedert; zunächst war man drei Jahre lang Präparand, dann ebenso lange Seminarist. Für die Einführung in die Schulpraxis wurde 1908 eine Seminarschule mit etwa 160 Schülern gegründet, die zunächst Räume im Gebäude der Mädchenschule nutzte.
Nach den Aufbaujahren sollte das Provisorium durch ein repräsentatives Seminargebäude abgelöst werden, das neben Seminar und Präparandie auch die Seminarschule aufnehmen konnte. Für die Planung und Ausführung war das Königliche Hochbauamt in Siegburg unter Baurat Faust zuständig; das Ministerium der öffentlichen Arbeiten lieferte einen Vorentwurf. Die sich zur Straße hin öffnende Dreiflügelanlage mit dem hohen Mittelbau, an den sich ein rückwärtiger Klassentrakt anschloss, wurde nach dem Muster barocker Schlossbauten konzipiert, wobei die Monumentalität aber durch die Bezugnahme auf heimische Rokokomotive gemildert wurde.
Am 30. September 1911 wurde der Neubau des „Königlichen Lehrerseminars“ feierlich eingeweiht. Seiner ursprünglichen Zweckbestimmung diente er aber gerade einmal 13 Jahre. Nach der Auflösung des Lehrerseminars bezog 1925 eine neu gegründete „Staatliche Oberrealschule in Aufbauform“ das Gebäude, 1931 kam das bis dahin im ehemaligen Franziskanerkloster untergebrachte städtische Gymnasium hinzu; um beide Schulen aufnehmen zu können, erhielt der Klassentrakt einen kastenförmigen Anbau, den die Schüler respektlos, aber treffend die „Zigarrenkiste“ nannten. Drei Jahre nach der Auflösung der Oberrealschule wurde das humanistische städtische Gymnasium in eine neusprachlich ausgerichtete „Staatliche Oberschule für Jungen“ umgewandelt. Im Krieg diente das ehemalige Seminargebäude zeitweise u.a. als Massenquartier für Bombengeschädigte aus Köln, als Sitz eines flämischen Widerstandssenders und als Feldlazarett. Zu ihrem 125-jährigen Jubiläum erhielt die Schule 1955 den Namen „Engelbert-von-Berg-Gymnasium“.
Als das Land Nordrhein-Westfalen beschloss, die staatlichen Schulen zum 1. Januar 1974 zu kommunalisieren, wehrte sich die Stadt Wipperfürth verständlicher Weise dagegen, ein Gebäude zu übernehmen, das nicht nur dringend renovierungsbedürftig, sondern auch den gestiegenen Schülerzahlen und den Anforderungen eines modernen Schulbetriebs nicht mehr gewachsen war. Das Land verpflichtete sich daher, ein neues Schulhaus zu errichten, und zwar als „Ersatz für den Altbau“. Im Frühjahr 1978, ein halbes Jahr nach der Genehmigung der Neubaupläne, begann sich in Wipperfürth Widerstand gegen die Abrisspläne zu regen; eine Bürgerinitiative entstand, die die Anerkennung des alten Seminargebäudes als Baudenkmal forderte und Unterschriften sammelte; die Lokalzeitung nahm sich des Themas mit großem Engagement an. Im Dezember 1980 kam es zu einer eindrucksvollen Demonstration der Schüler- und Lehrerschaft, über die auch das Fernsehen berichtete. Dass schließlich ein Kompromiss gefunden wurde, der Wipperfürth einerseits ein neues Schulgebäude bescherte und andrerseits den Erhalt und die Restaurierung des historischen Bauwerks ermöglichte, ist vor allem dem ehemaligen Schüler Hermann Haeck (Abitur 1936) zu verdanken, der sich anbot, 1 Million DM aus seinem Privatvermögen zur Verfügung zu stellen. Das Land zeigte sich schließlich bereit, die für die eingesparten Neubauteile veranschlagten 1,8 Millionen DM und zusätzlich 312000 DM Denkmalpflegemittel in die Restaurierung des Altbaus einzubringen. Im Dezember 1983 kam die Stadt der Forderung des Landeskonservators nach und stellte das Gebäude unter Denkmalschutz. Am 30. September 1986 wurde der restaurierte Bau ein zweites Mal eingeweiht; in einem Bürgerwettbewerb erhielt er den Namen „Altes Seminar“. Heute beherbergt er neben der Gymnastikhalle der Schule und dem Ratssaal städtische Behörden sowie die Stadtbücherei und das Büro der Musikschule.
Quelle: Heimat- und Geschichtsverein Wipperfürth, Erich Kahl